Auf einmal war die Westmark da


Das Haus, in dem wir wohnen steht seit 1952. Damals gab es für den Durchschnittsbürger in der DDR nur Steine, Dachziegel, Balken, Fenster, Holzdielen, Zement, Mörtel und Kachelöfen. Selbst Gips war ein Problem. Ich höre uns noch sagen: Gips "gibs" nicht! Wenn du Handwerker warst oder Westgeld hattest, kamst du noch an Heizkörper, den Schwerkraftofen dazu, oder auch an Fliesen. So zogen wir 1988 in ein Haus mit 5 Öfen, einem Kohlebadeofen, einfach verglaste Holzfenster, kaum gedämmteWände, ganz zu schweigen von Fliesen. Das ist alles halb so schlimm! "Eigner Herd ist Goldes wert", meinte Paul. Von Stund an, entdeckte Paul in sich neue Talente, die bis dato fest geschlummert haben. Er wollte renovieren und auch umbauen. Aber wie und womit?  Das Jahr 1989 brachte uns dann bald die Westmark und das große Verändern nahm seinen Lauf. Paul hat zwei Kachelöfen eingerissen, und eimerweise Schamott und Berge von Ofenziegeln bewegt. Ich kam mir vor, wie im Kohlentagebau. Überall Staub und Ruß. Die Ölheizung haben Profis eingebaut, die sich bei uns sauwohl fühlten, sie brauchten 8 Wochen dazu. Ich habe sie jeden Tag mit einem Essen verwöhnt, weil ich das so kannte aus dem Leben vorher. Da war es normal, einen Handwerker zu verpflegen, weil man froh war, dass er überhaupt kam. Als die Heizung fertig war, klingeln die Anbieter von Rollläden an der Tür. Die müssen sein, meint Paul, denn mit der Westmark kommen auch mehr Einbrecher. Ich fand das auch nicht schlecht und so haben wir sie uns für teures Geld aufschwatzen lassen. Als nächstes brauchen wir Fliesen im Bad, in der Küche und im Flur.Wie haben wir es nur bis jetzt ohne ausgehalten? Den Fliesenleger haben wir in unserer Familie, so bot es sich ja an für uns. Oder? So schnell gewöhnt man sich an ein bisschen Luxus. Der hellblaue Trabant, auf den wir 11 Jahre gewartet haben, ist auf einmal zu laut, unbequem und stinkt! Jetzt kaufen wir einen japanischen Wagen- heißt es bald, denn der amortisiert sich schon durch die Dienstfahrten. Das alte Sofa ist mir zu schäbig, hadere ich, also wird auch das Problem gelöst. Ein Dreisitzer, Zweisitzer und Sessel mit Federkern und im modernen Design, wechselt vom Möbelmarkt in unsere "gute Stube". Haben wir noch Geld übrig für einen Farbfernseher? Ja, haben wir und endlich hat Paul ein neues Spielzeug, nämlich die Fernbedienung. Nach und nach finden sich noch einige "lebensnotwendige" Gegenstände, die wir unbedingt erneuern müssen. Der Herd, der Kühlschrank und die Waschmaschine haben ausgedient und wandern in den An- und Verkauf. Ein neuer Teppich, dazu der Staubsauger, für Paul ein Gewächshaus und eine Tischtennisplatte, wenn die Enkel kommen! Das Kajak ließ unsere Herzen höher schlagen und steht seit dem bei uns rum. Nur unsere Möbel haben wir nicht ausgetauscht. Doch den neuen Kochtöpfen, die angeblich fast von alleine kochen, konnte ich nicht widerstehen. Der Traum von einem Ikea-Bett und guten Matratzen geht auch noch in Erfüllung. Schließlich verbringt der Mensch ein Drittel seines Lebens im Bett. Die unsinnigste Anschaffung war eine Filteranlage zum Bereiten von Osmose-Wasser. Wir haben in unserer Stadt bestes Trinkwasser, das aus der Tiefe kommt. Da sieht man mal wieder: "Alter schützt vor Torheit nicht!" Das Beste aber ist von allem doch, dass wir die Freiheit und das Geld haben, hin und wieder in die weite Welt zu reisen. Ich beende diese Geschichte mit einer fernöstlichen Weisheit: Wer hat je so lange gelebt, um alles brauchen zu können, womit er seine Kisten und Kasten vollstopfte.
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