Benehmen ist Glückssache

Mir scheint, dass Paul mit Freiherrn von Knigge auf dem Kriegsfuss steht. Seine Eltern haben versucht, ihn nach den" Regeln für gutes Benehmen" von Knigge zu erziehen. Paul lacht dazu und sagt, es hätte nicht viel geholfen. Mir ist es in der Kindheit ähnlich ergangen, es hat sich nur anders ausgewirkt. Nicht besser, aber anders eben! Nun komme ich zu Pauls Verstößen gegen Knigges Regeln. Paul füllt sich den Teller immer randvoll, anstatt sich nachzunehmen. Er schlingt das Essen meist zu schnell runter, ohne richtig zu geniessen. Es ißt dir keiner was weg, hadere ich mit ihm. Auch hat das Zubereiten viel Mühe gemacht! Ich denke oftmals, wenn er doch so schnell arbeiten würde! Auch das "Abkratzen der Teller" ist mir ein Dorn im Auge, denn ich ahne, dass er ihn am liebsten abschlecken würde. Die Happen sind auch zu groß, die in seinem Mund landen. Gut gekaut ist halb verdaut, lass ich verlauten. Er nickt dazu, und ignoriert es. Die geleerten Marmeladengläser werden von ihm laut ausgekratzt, das erinnert mich immer an meine sparsame Großmutter. Paul leert viele Marmeladengläser! Manche Gerichte isst Paul einfach mit dem Löffel statt der Gabel, obwohl das bei Knigge verpönt ist. Auf den Löffel passt mehr rauf, erklärt Paul. Das ist mehr Genuss. Paul ißt gerne vor dem Fernseher, genau wie unsere Enkel! Er meint, so geht er mit dem Trend! Aber bei einem guten Essen protestiere ich dann und es wird gemacht, wie ich es wünsche! Wenn er alleine frühstückt, liest er dabei seine Zeitung. Auch bei Getränken und Suppen hört man hin und wieder ein leichtes Schlürfen bei ihm. Das kommt davon, weil du so heiß kochst, grinst er ein wenig verlegen. Na um Ausreden sind wir beide nie verlegen, denn allzu eng sehen wir das alles nicht. Wenn wir Gäste haben, ist Paul Gastgeber und schnell in wichtige Gespräche vertieft. Dann muss ich ihn schon mal erinnern, die Gläser voll zu füllen, und mir zur Hand zu gehen. Ich glaube er genießt dann, dass ich ihn nicht beschäftigen kann. Obwohl, das möchte ich eigentlich immer gerne - ich liebe eben einen aktiven Paul, keinen trägen. Ich muss gestehen, dass ich auch gegen einige "Benimmregeln" rebelliere. Meine Töchter sagen, ich würde beim Essen schmatzen. Ich habe mir das wohl von meiner Mutter abgeschaut, obwohl sie es auch oft lachend zurückwies. Das ist natürlich eine Art Entschuldigung. Außerdem passiert es mir immer wieder, dass ich andere unterbreche. Schon in der Schule war ich vorlaut und hatte dauernd Ärger mit dem Lehrer. Die Regel "mit vollem Mund spricht man nicht" ist auch tückisch und schwer einzuhalten für mich. Ich unterhalte mich gern beim Essen, denn da hab ich doch meinen Paul neben mir. Der redet zwar morgens nicht so gerne, aber antworten tut er ja wenigstens noch immer! Essen und gleichzeitig reden macht sich gar nicht gut, denn beides verlangt Achtsamkeit. So wird eben wieder verstoßen gegen Knigge. Wir sind ja unter uns Pastorentöchtern, sage ich mir zum Trost. Eins wünsche ich mir so sehr, nämlich dass Paul mein Essen mehr lobt. Nur in sich "Hineinstopfen" ist für mich nicht genug. Aber das wird wohl nicht in 100 Jahren geschehen! Er meint, ich müsse doch sehen, wie es ihm schmeckt!
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